Montag, 21. Februar 2011

Natascha Hara oder Jürgen Tisch


Hallo Blog. Ich bin weiterhin in der Annäherungsphase, wie du merkst, wird aber immer besser. Ich bin halt etwas langsam ohne Stift und Blatt und Notizenmacherei. Online und das Wort „Schreiben“ sind für mich noch nicht so ganz eng, ich will aber nicht schon wieder jammern. Ich habe neulich – dies Mal dank dir, dank dir – über das Schreiben nachgedacht. Und dann hatte ich eine Idee: ich dachte, ich mach Mal ein Video. Ein Video über das Schreiben, aber dann war ich doch zu faul, nicht mutig genug, was auch immer und habe mich doch für die, für mich, traditionellere Kommunikationsform: also das Schreiben entschieden.
Ich hatte viele Lesungen in letzter Zeit, was an sich schön ist. Man kommt viel rum, lernt viele neue Orte (Betten auch) und Menschen kennen, man kommt in lustige, interessante Situationen, man kriegt viele Anregungen und und und....

Aber immer mehr fällt mir dabei auf, wie viele Leute die Texte mit dem Autor gleichsetzen. Bei den Theatertexten muss ich sie selten selber lesen, das machen die Schauspieler oder im besten Fall wird es gespielt und niemand muss irgendwas vorlesen. Seit ich meine Nase auch in den Prosabereich gesteckt habe, merke ich, dass viele Leute zu Lesungen kommen, wo ich mich nicht hinter den Schauspielern verstecken kann und selber lesen muss – weil sie persönliche Fragen stellen wollen. Mich hat es nie interessiert. Ich muss den Autor schon sehr, sehr lieben, um ihn live erleben zu wollen. Ich will auch selten wissen, ob er Müsli mag und geschieden, schwul oder neurotisch ist, nett, jähzornig oder ob er ein Faible für Eidechsen hat. Oft empfinde ich es sogar als Enttäuschung den Autor live zu erleben. Natürlich muss ich mich mit dem Leben eines Autors auseinander setzen, wenn ich die Geschichten hinter den Geschichten verstehen will – aber ich weiß nicht, ob das eins zu eins geschehen muss. Ich finde das Geschriebene, über den Autor (in dem Fall werde ich jetzt trotz political correctness das IN weg lassen) das Gesagte, das Sekundärmaterial viel spannender, als das, was er letztlich direkt sagen könnte. Denn kein – guter – Autor ist so blöd mehr von sich preiszugeben, als das, was er schreibt. Denn alles, was er schreibt würde durch das Preisgegebene relativiert, banalisiert werden. Egal wie erhaben, geheimnisvoll und neurotisch er ist.

Für mein imaginäres Video habe ich mir ein Pseudonym, einen Avatar um es modern zu sagen, ausgedacht. (Dies hat eigentlich eine lange Geschichte; ich habe schon oft gehört, dass es seltsam sei, dass ich mir kein Pseudonym gesucht hätte mit meinem ach so komplizierten Namen oder die Gegenmeinung: bei dem Namen könne es sich ja nur um ein Pseudonym handeln...) Ich hätte mich...hm, hm, hm, Natascha Hara oder Jürgen Tisch nennen können. Und dann war der Plan, einen Ablauf der Klischees und Projektionen zu drehen. Bei den Schauspielern fragt man ja oft: wie merken sie sich so viel Text oder was macht ihr tagsüber und derlei. Bei den Autoren, also in dem Fall bei mir, gibt es eine Art Best Of Liste der besten Fragen von den Lesungen: Wenn Sie so leben, wie sie schreiben, ist ihr Leben bestimmt so dramatisch, was  machen sie dagegen, machen sie Therapie? Oder: Die Sexualität ist ja in ihrem Buch sehr... na ja, ich weiß auch nicht. Es kann auch schön sein, das wissen sie doch hoffentlich? Etc... Ich schreibe jetzt nicht alle auf. 

Ich habe mich anfangs wirklich geärgert und mich sehr naiv gewehrt und erklärt. Dann habe ich darüber nachgedacht, dass ich nicht so arrogant und hochnäsig dieses Thema behandeln sollte. Denn -würde ich zu einem Vortrag der Heizungsbauer gehen – würde ich da auch keine sonderlich professionellen und branchenbezogene Fragen stellen.

Also habe ich mir bei solchen Fragen des Öfteren auch eine Natascha Hara oder einen Jürgen Tisch vorgestellt und habe überlegt, was sie wohl sagen würden und seitdem hat es angefangen Spaß zu machen, also, so richtig. Blog, missverstehe mich bitte nicht, ich verarsche niemanden und mache mich auch nicht lustig, ich will trotzdem, dass man meine Texte liest und diese einigermaßen objektiv wertet – jenseits von Feminismus, Sexismus, etlicher Traumata, Kriegsbeschädigung und unglücklicher Kindheit. Aber es macht eben Spaß – jemandem die eingeforderte Projektionsfläche zu verbieten, sich zu verweigern und im besten Fall dazu zu zwingen, dass derjenige/diejenige sich seine Gedanken anhand des Textes macht und nicht anhand meiner Person.

Ich stehe nicht gern auf der Bühne und ich bin nicht gern angeleuchtet. Ich will, dass man meine Texte liest. Ehrlicher als dort, kann ich im Leben niemals sein. Das ist eigentlich alles. Und ja, ich weiß, wir leben in einer Zeit der Labels, des Persönlichen, das auf einmal Öffentlich geworden ist, aber ich will nicht einsehen, warum ich das bieten soll, was so einfach wäre, wenn man es sich und den anderen schwer machen kann, denn ab da beginnt es doch erst interessant zu werden...

Aber zurück zu meinem Video: da hätte ich vielleicht alle Projektionen auf mich nehmen, alles bedienen können, was man sich gewünscht hätte, alle Fragen offen beantworten können. Ich hätte einfach einen Tagesablauf zeigen können, der unbedingt so ablaufen müsste: Morgens wacht man auf, trägt ein dunkles T-Shirt mit einem Slogan, zum Beispiel: Ich trage Schwarz, bis man etwas Dunkleres erfindet. Dann ein schwarzer Kaffee (kein Zucker, keine Milch) sofort eine „Nil,“ oder eine Selbstgedrehte, dazu die FAZ oder die ZEIT aufgeschlagen, mit Rotweinflecken versehen, von der letzten Nacht; danach vielleicht meine Fische füttern (die ich nicht habe) oder meine exotischen Vögel (von denen ich auch überhaupt keine Ahnung habe), die ich züchte und für die ich eine große Leidenschaft hege. Dann ein Interview – mit Sonnenbrille in eine verrauchte Bar; über komplizierte Sachen reden, die niemanden interessieren und vor allem nicht die Journalistin, die danach fragt; danach einen Espresso in der Stammkneipe, wo einen alle mit einem Spitznamen grüßen, der ein Insiderwitz ist. Aus der Kneipe raus – trifft man den Exfreund oder -Freundin und es gibt eine Art Paparazzi Einstellung, wo man die Hand vor die Kamera hält (es filmt jemand anderer) da es nun wirklich, wirklich privat wird und man auch emotional und so... Danach nach Hause und ein wenig an der Recherche arbeiten, die beinhaltet, dass man viele aufgeschlagene, komplizierte Bücher da liegen hat, am Besten mehrsprachig und sitzt und schweigt und am Besten - ein Text, der aus der Recherche resultieren soll, in dem viel Sex und viel Gewalt vorkommt. Dann vielleicht eine asiatische Zitronensuppe bestellen, weil man doch was essen muss. Dann arbeiten, tippen, konzentriert. Nein, kein MacBook, ein uralter Computer, mit vielen Kabeln, mittlerweile haben die einen ganz eigenen Chic. Dann kommen Freunde: ein Performancekünstler, ein Sänger einer Indie Band, eine Lyrikerin und ein Typ – für die Quote – der studiert, Geisteswissenschaften natürlich. Dann gibt es viel Rotwein oder irgendwas Exotisches. Irgendein Gemisch, das keiner kennt, aber super interessant klingt... Dann. Dann. Dann.

Aber irgendwann fingen Natascha und Jürgen an mich an zu langweilen...

Ich weiß, man kann den eigenen Klischees schwer entliehen, aber einen Versuch Wert erscheint es mir schon.

Die Dichterin, die ich sehr, sehr liebe, hat einmal geschrieben: Dichten ist immer Nachdichten. Und das was man vom Schreiben erwarten könne, das sei die Wahrheit eines/jenen Augenblicks. Ich glaube aufrichtiger kann man das niemals meinen.

Montag, 17. Januar 2011

studiDT


Das erste Mal, als ich mit Theater intern in Verbindung kam, war ich sechs und meine Mutter schleppte mich zu einem Kindercasting für „Rotkäppchen“ mit. Es sollte eine große Produktion an einem großen Theater werden. Ich weiß noch, wie ich da, aufgehübscht und zurechtgemacht den großen Saal betrat, in dem sich unzählige Kinder befanden. Alle tobten, schrien rum, der ganze Zuschauerraum war voller Kinder und die Erwachsenen, außer der Jury, mussten draußen bleiben und auf ihre hoffentlich begabten Kinder warten.
Die meisten von den anwesenden Kindern waren Mädchen und alle wollten natürlich Rotkäppchen spielen. Ich bekam bereits beim Warten eine halbe Herzattacke, wollte weinen, raus rennen, meine Mutter suchen und von dort verschwinden. Aber die Türen waren zu, außerdem wollte ich mir die Blöße nicht geben; also blieb ich dort sitzen und wartete, bis mein Name aufgerufen wurde.

Auf der Bühne saß die Jury und noch ein Musiker, der den Kindern mit seinen pseudo - lustigen Klaviermelodien die Hemmungen zu nehmen versuchte. Einige, die etwas älter waren als ich und auch coolere Haarspangen, Schuhe und T-Shirts trugen, zappelten rum, tanzten, sangen teilweise und waren bezaubernd als Rotkäppchen. Denen zusehend, wuchs mein Missmut und sank mein Selbstvertrauen im Rekordtempo. Sie waren alle so gutgelaunt, alle lachten, niemand schien Angst zu haben und alle erfreuten sich über ihre drei Minuten auf der Bühne. Ich saß aber da und zitterte, schwitzte, verkrampfte. Ich weiß bis heute nicht, wieso ich da hin gegangen bin oder wieso meine Mutter mich dort angemeldet hatte. Zum Glück gab es, was mich betraf, weiterhin keinerlei schauspielerische Ambitionen, seitens meiner Familie.

Als ich dran war, ging ich zögerlich auf die Bühne, die Panik und die Tränen unterdrückend und murmelte, dass ich gern den Wolf spielen würde. Das wurde sehr willkommen geheißen, schließlich mangelte es definitiv an Wölfen. Dann begann der Musiker mit seiner pseudo-lustigen Musik und ich begann zu brüllen. Ich stellte mich auf allen Vieren und brüllte aus voller Kraft, doch merkte gleichzeitig, dass keines der selbstbewussten Mädchen im Zuschauerraum auch nur ansatzweise Angst vor mir hatte. Genauso wenig die Jury. Ich muss ziemlich elend ausgesehen haben – verängstigt und verunsichert und dabei versuchend gefährlich und bedrohlich zu wirken. Bevor die Jury „Danke, bitte die Nächste“ sagen konnte, brach ich mein Wolfspektakel ab, rannte so schnell ich konnte von der Bühne runter und aus dem Zuschauerraum. Danach erklärte ich meiner Mutter, dass ich nie mehr einen Theaterraum betreten wolle.

Es wäre natürlich ein blödes küchenpsychologisches Klischee – meine später entfachte Theaterliebe auf dieses „Trauma“ zurück zu schieben. Ich habe den Vorfall recht schnell wieder vergessen und mich erst Jahre später daran erinnert und sogar viel darüber gelacht. Aber anderseits geht ja, meines Erachtens nach, an uns Menschen, kaum etwas spurlos vorbei.

Vor einigen Wochen saß ich im Keller vom DT, bei einer neuen Reihe, die sich studiDT nennt, eine open stage Reihe ist und sich vor allem an Studierende richtet, die von einigen Schauspielern des Ensembles animiert, für einige Minuten oder je nach Wunsch auch länger, auf die Bühne gehen und alles tun dürfen, was sie sonst tun oder eben nie tun. Ob es Singen, Gedichte Aufsagen, alberne Spiele spielen oder witzige Anekdoten erzählen ist. Alles ist erlaubt, Hauptsache es macht Spaß und es rockt.

Als mich die Dramaturginnen fragten, ob ich dort auftreten und irgendwas Albernes machen wolle – habe ich nicht so recht gewusst, was ich da tun sollte. Ich habe mir erst Mal die Reihe anschauen wollen, um einen Eindruck zu gewinnen, was das überhaupt ist.

Durch eine lockere Stimmung, bestärkt durch Glühwein und animiert durch Schauspieler – gingen mehr und mehr junge Leute auf die Bühne und tobten sich aus. Es war lustig und ich merkte, wie mich das Geschehen immer mehr mitriss. Ich begann darüber nachzudenken, was das ist, was uns auf die Bühnen treibt, was uns enthemmt und frei macht, wenn wir es zulassen. Ich musste unweigerlich an Kinder denken, die wir alle einmal waren und es vielleicht bist heute sind. (Hoffentlich!) Denn diese Kinder in uns sind es, die uns, ja auch die Gehemmten, Schüchternen, Zurückhaltenden, Schweigsamen auf die Bühnen treiben und uns unglaubliche Sachen tun lassen, die wir sonst nie zu tun wagen würden. Man muss nur diesen Kindern die Möglichkeiten geben zum Vorschein zu kommen. 

So fühlte sich studiDT für mich an: dort können alle Kinder wieder zum Vorschein kommen und auf die Bühne hüpfen und man darf alles, was man sich bereit ist vorzustellen. Denn das macht ja die Faszination der Kindheit aus: alles, was man sich vorstellen kann, ist auch real, solange man selbst dran glaubt.
Und darüber nachdenkend, erinnerte ich mich wieder an mein einziges Casting und meinen gescheiterten Wolf. Dann dachte ich mit Genugtuung, dass all diese coolen Mädchen mit coolen Haarspangen und Turnschuhen heute bestimmt sehr erwachsen, sehr ernst, sehr tüchtig und sehr unlustig sind, während ich weiterhin Sachen (ja, auch Wölfe!) erfinde, selber dran glaubend und somit einige andere Menschen dazu bringe, dass sie mir gleich tun. Und dann dachte ich daran, dass ich vielleicht eines Tages, bei Gelegenheit, mich auf alle Vieren stellen und aus voller Kraft brüllen sollte, den bösen, grauen Wolf markierend...

Sonntag, 12. Dezember 2010

BETTGESCHICHTEN 2


Hallo Blog. Wie schlägst du dich? Hoffe doch – Bestens. Das Bett, an das ich heute denken musste – ist an einem zauberhaften Ort – in einem zauberhaften Land, mit einer grandiosen Aussicht. Vielleicht das beste Bett, das mir je begegnet ist. 

Ich musste heute an ihn denken, weil der Tag heute nicht zu meinem Besten gehört – ich  muss vielleicht hinzufügen, dass ich prinzipiell den Winter boykottiere. Dass ich keineswegs irgendein romantisches Gefühl verspüre - die schneebedeckten Landschaften, die Weihnachtsdekorationen und die klirrende Kälte wahrnehmend. Dass ich nicht Ski fahre und auch nicht  George Michael in einer Berghütte, am Kamin sitzend, höre – samt den Truthahngeruch, der, derweil aus der Küche dringt. Ich leide, weil ich friere. Mir tut die Welt leid, mir tun die Menschen leid, ich tue mir leid. Ich werde sentimental und wehleidig. Und finde das absolut blöd.

Und heute wachte ich auf und beschloss diesem Winter eine zweite Chance zu geben. Wie gesagt, ich erwähnte dies ja bereits, dass ich durchaus für Zweite Chancen bin.  Ich habe die Fenster weit aufgerissen, habe das Matschwetter fröhlich begrüßt und bin dann auch lange durch die Gegend gelaufen. Obwohl der Tag nicht unbedingt ein frostiger Wintertag ist – ist der für mich kalt genug. Auf dem Weg zum kleinen Cafe, wo ich des Öfteren meinen Kaffee hole, traf ich Gitta, eine sehr stolze, sehr interessante, sehr hilfsbreite Obdachlose, die, die halbe Stadt kennt, jeden namentlich grüßt und Geld nur dann annimmt, wenn sie einem auch irgendeinen kleinen Gefallen tun kann – z.B zum Kiosk laufen und einem irgendwelche Kleinigkeiten holen oder zum Zeitungsladen gehen und die Morgenausgabe der Lieblingszeitung besorgen.

Wir haben uns unterhalten, ich habe ihr von meiner Missgunst dem Winter gegenüber berichtet und dann hat Gitta eine Inspiration an poetisch-elegischer Ausdrucksweise vernommen und beschlossen mit aller Macht mich davon zu überzeugen, dass ich unbedingt meine Freundschaft mit dem Winter schließen soll. Also setze ich meinen vormittaglichen Weg samt meinen neuen, guten Ansätzen mit Gitta fort. Sie zeigte mir irgendwelche Hinterhöfe samt den besten Verstecken der Stadt, zeigte mir die Gärten, wo man am besten Lagerfeuer anzünden und Ofenkartoffeln zubereiten könnte, sie zeigte mir den Hinterausgang des liebsten und großzügigsten Restaurants der Gegend und das alles mit der dauernden Argumentation für den Winter: Lagerfeuer macht nur in der Kälte Spaß; eine sehr große Freude ist es  im Winter draußen zu übernachten, in einem Schlafsack am Besten und am nächsten Tag froh zu sein, dass man stark genug ist die Kälte überstanden zu haben; warmes Essen in einer verschneiten Nacht, in irgendeinem Treppenhaus – das alles sprach eindeutig für den Winter, ganz zu Schweigen davon, dass Menschen angeblich in der Vorweihnachtszeit sich auf ihre humanistische Ansätze und Werte besinnen und groszügiger schenken und verteilen.

Daraufhin musste ich daran denken, dass ich bei meinem ersten Göttinger Aufenthalt eine Dame kennenlernte, auf dem Weg ins Theater, die auf der Straße lebte, etwas wirr vor sich hin sprach, mehr oder weniger zum Straßen - und somit zum Stadtbild gehörte und einen ab und an um eine Zigarette oder um Feuer bat. Das war im Sommer. Sie hatte etwas sehr Interessantes an sich, oft ihr Hab und Gut in Tüten verpackt, dabei und ging oft den kleinen Straßenabschnitt auf und ab. Weit entfernte sie sich aber nicht von dem Ort. Und feste Zeiten hatte sie auch – um eine bestimmte Zeit kam sie dahin und um eine bestimmte Zeit ging sie fort. Wohin, das wusste ich nicht...

Das zweite Mal, als ich in Göttingen war, war die Dame verschwunden. Es war im Winter. Als ich nach ihr fragte, teilte man mir mit, dass sie am Heiligabend von einem betrunknen Bekannten sexuell belästigt und aufgrund der Verweigerung getötet worden war. Es versetzte mich in eine absolute Schockstarre. Ich hatte mich regelrecht an diese Dame gewöhnt und hatte es mir etliche Male vorgenommen, sie anzuquatschen und nach ihrem Namen zu fragen.  Ich wollte wissen, welche Geschichten hinter ihr standen. Ich konnte es mir nicht vorstellen, wer auf den Gedanken kommen sollte, dieser Frau etwas anzutun.

Ich glaube es ist oft diese Sehnsucht nach Wärme, was ich so ungerecht an Winter finde. Die Vorstellung davon, dass nun bei dem harten Wetter - Menschen zusammen rücken, sich zurückziehen, nachdenklich und liebesbedürftig werden, großzügig, empathisch. Dass sie sich gegenseitig Wärme schenken und am Kaminfeuer händchenhaltend – tief in die Augen schauen... (Okay, ich übertreibe jetzt auch ein wenig, das ist mir schon klar.) Dass sie sich gegenseitig Mützen stricken und sich gemeinsam Hörbücher mit schaurigen Geschichten anhören, dass sie sich die Füße wärmen und sich fester an einander drücken. Sicherlich tun das manche, sicherlich tun wir das alle ein wenig – das mit den Mützen und mit dem Kamin sei einfach so dahingestellt – sicherlich, aber manchmal tun wir es eben nicht. Keine Mützen, kein Kamin, kein George Michael, vielleicht nicht Mal ein warmer Schlafsack. Das macht dann Menschen grob und verbittert, sie werden dann düster, grimmig, unfreundlich, werden genauso grau, wie der Himmel.

Ich weiß, ich kann es dem Winter nicht in die Schuhe schieben, dass er den betrunkenen Mann dazu animiert hat, dass er die Frau tötete, ich kann auch dem Winter nicht vorwerfen, dass Menschen manchmal einfach nur schrecklich und ätzend sind und sich einen Dreck um ihre Mitmenschen scheren, ich weiß, dass der Winter nicht dran Schuld ist, dass ich ihn nicht mag, ich kann ihm auch nicht vorwerfen, dass manche Menschen  im Winter eben ihren Tee serviert bekommen und manche nicht  - aber ich täte das manchmal so gern...

Aber vielleicht hat Gitta Recht und ich sollte es Mal versuchen – in einem der Hinterhöfe Lagerfeuer anzuzünden und Freunde zusammen zu trommeln. Aber bevor ich mich dazu entschließe, träume ich einfach von dem glücklichsten Bett der Welt, vom Meer und von der Sonne...







Mittwoch, 8. Dezember 2010

BETTGESCHICHTEN

Hallo Blog. Ich bin Nino. Ich finde dich lustig. Wir entdecken gerade neue Seiten an uns – das mag ich, diese Phase meine ich. Das ist immer die interessanteste Phase beim Kennenlernen – man findet sich noch aufregend und jede ach so blöde Sache am Gegenüber fällt noch unter die Rubrik „spannend“. Vielleicht ist es eines Tages nicht mehr so, bestimmt ist es so, aber solange dies noch nicht der Fall ist – lass uns doch aneinander erfreuen und hoffentlich noch ein paar andere Menschen, die unser Kennenlernen verfolgen.

Ich werde dir immer wieder Geschichten erzählen, die du dann weitererzählst – in dieser merkwürdigen Welt. Ich werde sicherlich Dinge erzählen, die du nicht immer unter der Rubrik „spannend“ abbuchen können wirst, aber das ist der Deal, da müssen wir beide durch. Und am Ende, wer weiß, vielleicht mögen wir uns richtig.

Außerdem bist du immer in Göttingen, ich komme und gehe – so eine Art sicheren Hafen finde ich sehr gut. Momentan noch besser, als sonst, da ich in den letzten Monaten viel unterwegs war und manchmal kann man da schon die Orientierung verlieren. Und da du ja Flaschenpost heißt, weiß ich, dass du nicht untergehen kannst...

Und zur Überleitung, werde ich gleich heute mit einem Thema beginnen, auf das mich eine Freundin gebracht hat: Vor Monaten haben wir uns unterhalten und sie zeigte mir völlig empört ein Bild von einem Ort, an dem sie während einer Produktion an einem Theater wohnen musste. Sie regte sich auf und ich mich mit ihr, und irgendwann meinte sie, man müsse eigentlich eine Ausstellung machen zu all den Orten, an denen man in seinem Leben, und vor allem in seiner (Theater-)beruflichen Laufbahn, übernachten muss.

Monate später erinnere ich mich fast täglich an diese Worte – in all den verschiedenen Orten und in all den verschiedenen Betten schlafend, zu denen ich wegen meiner beruflichen Reiserei kam.

Es hat was, für eine Weile zumindest, und es gibt auch Orte, an die man sehr gern hinkommt, die aufregend sind, wunderschön, skurril oder lustig. Dann welche, die man weniger gern besucht. Es hat was: Köfferchen packen, zum Bahnhof oder Flughafen fahren, zum Hotel fahren oder gehen, neue Menschen treffen, kurz: die Stadt kennenlernen, dann wieder Koffer packen und wieder zum Flughafen und Bahnhof zurück.

Irgendwann gab es aber einen Morgen, an dem ich aufwachte und kurz nachdenken musste, wo genau ich war, in welcher Stadt. Das war dann weniger toll.

Um das zu vermeiden, habe ich angefangen mir für die Betten Geschichten auszudenken, für die Betten, in denen ich schlafe, damit ich jedem dieser Betten seine Würde und Einmaligkeit zurück geben und es damit aus der Verdammnis der Verwechselbarkeit heraus holen konnte. Ich glaube, die Betten haben sich gefreut und ich hoffe, du freust dich auch, Blog.

Solange wir uns hier weiter kennenlernen und anfreunden, werde ich einige solcher Bettgeschichten erzählen, um am Ende mein Göttinger Bett vorzustellen und damit die Geschichte, die wir zusammen erleben werden – im Laufe dieser Spielzeit. Aber bis dahin sind noch einige andere dran.

Heute stelle ich das traurigste Bett vor, das ich diesen Winter kennengelernt habe; ein Bett, das sehr trostlos und alt wirkte. Sehr apathisch und desinteressiert, das es nicht mehr nötig hatte, sich die Mühe zu machen, gemütlich zu sein. 

Ich mochte es anfangs natürlich gar nicht, schon allein deswegen, weil mein Rücken es nicht mochte. Aber dann, dann irgendwann entlockte ich ihm doch ein paar Geheimnisse; es beklagte sich über die Untreue der Menschen und darüber, dass es sich niemals angenommen gefühlt hatte, dass es für Liebespiele eingesetzt wurde, aber ihm selbst niemals eins vergönnt war, da es alt war und verbraucht und hässlich...

An der Wand, hinter dem Bett hatte jemand eine Postkarte mit dem Spruch hingehängt: ES IST SO SCHÖN HIER und dieser Satz machte das ganze noch trostloser. Die Ironie kann manchmal auch einem Bett die Würde nehmen, durchaus...

Ja, es war ein sehr einsames Bett.



Aber manchmal muss man einem Ort, sowie einem Bett, eine zweite Chance geben, damit es seine guten Seiten zeigen kann... Am Ende dieser Reise liebte ich dieses Bett und mein Rücken klagte auch nicht mehr. Ich liebte dieses Bett, weil ich an diesem Ort tolle Menschen kennenlernte, mir gute Gedanken in den Sinn kamen, weil ich dort lange und gute Gespräche führte und weil es für mich zu einem sicheren Hafen geworden war. Und wie gesagt, in aufregenden, unruhigen Zeiten, lernt man solche Häfen schnell zu schätzen...

Freitag, 26. November 2010

DIE LEINEN LOS UND DIE SEGEL GEHISST

Hoch schlagen die Wellen, stürmisch ist die See! Schietwetter?
Das kann einen Seemann nicht erschüttern und schon gar nicht die dt-flaschenpost! Schwungvoll schippert sie über den virtuellen Ozean, um dann schließlich auch über Ihren heimischen Bildschirm an Land gespült zu werden.

Ahoi und herzlich willkommen auf dt-flaschenpost, dem BLOG, auf dem unsere Hausautorin und Stadtschreiberin Nino Haratischwili regelmäßig Botschaften über die verschlungenen Kanäle des World Wide Web verschickt. Mit Forscherdrang im Blick und Abenteuerlust im Blut berichtet sie von Neuland innerhalb und außerhalb Göttinger Hoheitsgebiete, schreibt über theatrale und kulturelle Treibgüter, kartografiert die Gefilde städtischer Wirklichkeit zwischen Gänseliesel und Uni-Campus, und führt Logbuch über das Leben einer jungen Autorin in Deutschland.

Also, die Leinen los und die Segel gehisst!