Montag, 21. Februar 2011

Natascha Hara oder Jürgen Tisch


Hallo Blog. Ich bin weiterhin in der Annäherungsphase, wie du merkst, wird aber immer besser. Ich bin halt etwas langsam ohne Stift und Blatt und Notizenmacherei. Online und das Wort „Schreiben“ sind für mich noch nicht so ganz eng, ich will aber nicht schon wieder jammern. Ich habe neulich – dies Mal dank dir, dank dir – über das Schreiben nachgedacht. Und dann hatte ich eine Idee: ich dachte, ich mach Mal ein Video. Ein Video über das Schreiben, aber dann war ich doch zu faul, nicht mutig genug, was auch immer und habe mich doch für die, für mich, traditionellere Kommunikationsform: also das Schreiben entschieden.
Ich hatte viele Lesungen in letzter Zeit, was an sich schön ist. Man kommt viel rum, lernt viele neue Orte (Betten auch) und Menschen kennen, man kommt in lustige, interessante Situationen, man kriegt viele Anregungen und und und....

Aber immer mehr fällt mir dabei auf, wie viele Leute die Texte mit dem Autor gleichsetzen. Bei den Theatertexten muss ich sie selten selber lesen, das machen die Schauspieler oder im besten Fall wird es gespielt und niemand muss irgendwas vorlesen. Seit ich meine Nase auch in den Prosabereich gesteckt habe, merke ich, dass viele Leute zu Lesungen kommen, wo ich mich nicht hinter den Schauspielern verstecken kann und selber lesen muss – weil sie persönliche Fragen stellen wollen. Mich hat es nie interessiert. Ich muss den Autor schon sehr, sehr lieben, um ihn live erleben zu wollen. Ich will auch selten wissen, ob er Müsli mag und geschieden, schwul oder neurotisch ist, nett, jähzornig oder ob er ein Faible für Eidechsen hat. Oft empfinde ich es sogar als Enttäuschung den Autor live zu erleben. Natürlich muss ich mich mit dem Leben eines Autors auseinander setzen, wenn ich die Geschichten hinter den Geschichten verstehen will – aber ich weiß nicht, ob das eins zu eins geschehen muss. Ich finde das Geschriebene, über den Autor (in dem Fall werde ich jetzt trotz political correctness das IN weg lassen) das Gesagte, das Sekundärmaterial viel spannender, als das, was er letztlich direkt sagen könnte. Denn kein – guter – Autor ist so blöd mehr von sich preiszugeben, als das, was er schreibt. Denn alles, was er schreibt würde durch das Preisgegebene relativiert, banalisiert werden. Egal wie erhaben, geheimnisvoll und neurotisch er ist.

Für mein imaginäres Video habe ich mir ein Pseudonym, einen Avatar um es modern zu sagen, ausgedacht. (Dies hat eigentlich eine lange Geschichte; ich habe schon oft gehört, dass es seltsam sei, dass ich mir kein Pseudonym gesucht hätte mit meinem ach so komplizierten Namen oder die Gegenmeinung: bei dem Namen könne es sich ja nur um ein Pseudonym handeln...) Ich hätte mich...hm, hm, hm, Natascha Hara oder Jürgen Tisch nennen können. Und dann war der Plan, einen Ablauf der Klischees und Projektionen zu drehen. Bei den Schauspielern fragt man ja oft: wie merken sie sich so viel Text oder was macht ihr tagsüber und derlei. Bei den Autoren, also in dem Fall bei mir, gibt es eine Art Best Of Liste der besten Fragen von den Lesungen: Wenn Sie so leben, wie sie schreiben, ist ihr Leben bestimmt so dramatisch, was  machen sie dagegen, machen sie Therapie? Oder: Die Sexualität ist ja in ihrem Buch sehr... na ja, ich weiß auch nicht. Es kann auch schön sein, das wissen sie doch hoffentlich? Etc... Ich schreibe jetzt nicht alle auf. 

Ich habe mich anfangs wirklich geärgert und mich sehr naiv gewehrt und erklärt. Dann habe ich darüber nachgedacht, dass ich nicht so arrogant und hochnäsig dieses Thema behandeln sollte. Denn -würde ich zu einem Vortrag der Heizungsbauer gehen – würde ich da auch keine sonderlich professionellen und branchenbezogene Fragen stellen.

Also habe ich mir bei solchen Fragen des Öfteren auch eine Natascha Hara oder einen Jürgen Tisch vorgestellt und habe überlegt, was sie wohl sagen würden und seitdem hat es angefangen Spaß zu machen, also, so richtig. Blog, missverstehe mich bitte nicht, ich verarsche niemanden und mache mich auch nicht lustig, ich will trotzdem, dass man meine Texte liest und diese einigermaßen objektiv wertet – jenseits von Feminismus, Sexismus, etlicher Traumata, Kriegsbeschädigung und unglücklicher Kindheit. Aber es macht eben Spaß – jemandem die eingeforderte Projektionsfläche zu verbieten, sich zu verweigern und im besten Fall dazu zu zwingen, dass derjenige/diejenige sich seine Gedanken anhand des Textes macht und nicht anhand meiner Person.

Ich stehe nicht gern auf der Bühne und ich bin nicht gern angeleuchtet. Ich will, dass man meine Texte liest. Ehrlicher als dort, kann ich im Leben niemals sein. Das ist eigentlich alles. Und ja, ich weiß, wir leben in einer Zeit der Labels, des Persönlichen, das auf einmal Öffentlich geworden ist, aber ich will nicht einsehen, warum ich das bieten soll, was so einfach wäre, wenn man es sich und den anderen schwer machen kann, denn ab da beginnt es doch erst interessant zu werden...

Aber zurück zu meinem Video: da hätte ich vielleicht alle Projektionen auf mich nehmen, alles bedienen können, was man sich gewünscht hätte, alle Fragen offen beantworten können. Ich hätte einfach einen Tagesablauf zeigen können, der unbedingt so ablaufen müsste: Morgens wacht man auf, trägt ein dunkles T-Shirt mit einem Slogan, zum Beispiel: Ich trage Schwarz, bis man etwas Dunkleres erfindet. Dann ein schwarzer Kaffee (kein Zucker, keine Milch) sofort eine „Nil,“ oder eine Selbstgedrehte, dazu die FAZ oder die ZEIT aufgeschlagen, mit Rotweinflecken versehen, von der letzten Nacht; danach vielleicht meine Fische füttern (die ich nicht habe) oder meine exotischen Vögel (von denen ich auch überhaupt keine Ahnung habe), die ich züchte und für die ich eine große Leidenschaft hege. Dann ein Interview – mit Sonnenbrille in eine verrauchte Bar; über komplizierte Sachen reden, die niemanden interessieren und vor allem nicht die Journalistin, die danach fragt; danach einen Espresso in der Stammkneipe, wo einen alle mit einem Spitznamen grüßen, der ein Insiderwitz ist. Aus der Kneipe raus – trifft man den Exfreund oder -Freundin und es gibt eine Art Paparazzi Einstellung, wo man die Hand vor die Kamera hält (es filmt jemand anderer) da es nun wirklich, wirklich privat wird und man auch emotional und so... Danach nach Hause und ein wenig an der Recherche arbeiten, die beinhaltet, dass man viele aufgeschlagene, komplizierte Bücher da liegen hat, am Besten mehrsprachig und sitzt und schweigt und am Besten - ein Text, der aus der Recherche resultieren soll, in dem viel Sex und viel Gewalt vorkommt. Dann vielleicht eine asiatische Zitronensuppe bestellen, weil man doch was essen muss. Dann arbeiten, tippen, konzentriert. Nein, kein MacBook, ein uralter Computer, mit vielen Kabeln, mittlerweile haben die einen ganz eigenen Chic. Dann kommen Freunde: ein Performancekünstler, ein Sänger einer Indie Band, eine Lyrikerin und ein Typ – für die Quote – der studiert, Geisteswissenschaften natürlich. Dann gibt es viel Rotwein oder irgendwas Exotisches. Irgendein Gemisch, das keiner kennt, aber super interessant klingt... Dann. Dann. Dann.

Aber irgendwann fingen Natascha und Jürgen an mich an zu langweilen...

Ich weiß, man kann den eigenen Klischees schwer entliehen, aber einen Versuch Wert erscheint es mir schon.

Die Dichterin, die ich sehr, sehr liebe, hat einmal geschrieben: Dichten ist immer Nachdichten. Und das was man vom Schreiben erwarten könne, das sei die Wahrheit eines/jenen Augenblicks. Ich glaube aufrichtiger kann man das niemals meinen.

Montag, 17. Januar 2011

studiDT


Das erste Mal, als ich mit Theater intern in Verbindung kam, war ich sechs und meine Mutter schleppte mich zu einem Kindercasting für „Rotkäppchen“ mit. Es sollte eine große Produktion an einem großen Theater werden. Ich weiß noch, wie ich da, aufgehübscht und zurechtgemacht den großen Saal betrat, in dem sich unzählige Kinder befanden. Alle tobten, schrien rum, der ganze Zuschauerraum war voller Kinder und die Erwachsenen, außer der Jury, mussten draußen bleiben und auf ihre hoffentlich begabten Kinder warten.
Die meisten von den anwesenden Kindern waren Mädchen und alle wollten natürlich Rotkäppchen spielen. Ich bekam bereits beim Warten eine halbe Herzattacke, wollte weinen, raus rennen, meine Mutter suchen und von dort verschwinden. Aber die Türen waren zu, außerdem wollte ich mir die Blöße nicht geben; also blieb ich dort sitzen und wartete, bis mein Name aufgerufen wurde.

Auf der Bühne saß die Jury und noch ein Musiker, der den Kindern mit seinen pseudo - lustigen Klaviermelodien die Hemmungen zu nehmen versuchte. Einige, die etwas älter waren als ich und auch coolere Haarspangen, Schuhe und T-Shirts trugen, zappelten rum, tanzten, sangen teilweise und waren bezaubernd als Rotkäppchen. Denen zusehend, wuchs mein Missmut und sank mein Selbstvertrauen im Rekordtempo. Sie waren alle so gutgelaunt, alle lachten, niemand schien Angst zu haben und alle erfreuten sich über ihre drei Minuten auf der Bühne. Ich saß aber da und zitterte, schwitzte, verkrampfte. Ich weiß bis heute nicht, wieso ich da hin gegangen bin oder wieso meine Mutter mich dort angemeldet hatte. Zum Glück gab es, was mich betraf, weiterhin keinerlei schauspielerische Ambitionen, seitens meiner Familie.

Als ich dran war, ging ich zögerlich auf die Bühne, die Panik und die Tränen unterdrückend und murmelte, dass ich gern den Wolf spielen würde. Das wurde sehr willkommen geheißen, schließlich mangelte es definitiv an Wölfen. Dann begann der Musiker mit seiner pseudo-lustigen Musik und ich begann zu brüllen. Ich stellte mich auf allen Vieren und brüllte aus voller Kraft, doch merkte gleichzeitig, dass keines der selbstbewussten Mädchen im Zuschauerraum auch nur ansatzweise Angst vor mir hatte. Genauso wenig die Jury. Ich muss ziemlich elend ausgesehen haben – verängstigt und verunsichert und dabei versuchend gefährlich und bedrohlich zu wirken. Bevor die Jury „Danke, bitte die Nächste“ sagen konnte, brach ich mein Wolfspektakel ab, rannte so schnell ich konnte von der Bühne runter und aus dem Zuschauerraum. Danach erklärte ich meiner Mutter, dass ich nie mehr einen Theaterraum betreten wolle.

Es wäre natürlich ein blödes küchenpsychologisches Klischee – meine später entfachte Theaterliebe auf dieses „Trauma“ zurück zu schieben. Ich habe den Vorfall recht schnell wieder vergessen und mich erst Jahre später daran erinnert und sogar viel darüber gelacht. Aber anderseits geht ja, meines Erachtens nach, an uns Menschen, kaum etwas spurlos vorbei.

Vor einigen Wochen saß ich im Keller vom DT, bei einer neuen Reihe, die sich studiDT nennt, eine open stage Reihe ist und sich vor allem an Studierende richtet, die von einigen Schauspielern des Ensembles animiert, für einige Minuten oder je nach Wunsch auch länger, auf die Bühne gehen und alles tun dürfen, was sie sonst tun oder eben nie tun. Ob es Singen, Gedichte Aufsagen, alberne Spiele spielen oder witzige Anekdoten erzählen ist. Alles ist erlaubt, Hauptsache es macht Spaß und es rockt.

Als mich die Dramaturginnen fragten, ob ich dort auftreten und irgendwas Albernes machen wolle – habe ich nicht so recht gewusst, was ich da tun sollte. Ich habe mir erst Mal die Reihe anschauen wollen, um einen Eindruck zu gewinnen, was das überhaupt ist.

Durch eine lockere Stimmung, bestärkt durch Glühwein und animiert durch Schauspieler – gingen mehr und mehr junge Leute auf die Bühne und tobten sich aus. Es war lustig und ich merkte, wie mich das Geschehen immer mehr mitriss. Ich begann darüber nachzudenken, was das ist, was uns auf die Bühnen treibt, was uns enthemmt und frei macht, wenn wir es zulassen. Ich musste unweigerlich an Kinder denken, die wir alle einmal waren und es vielleicht bist heute sind. (Hoffentlich!) Denn diese Kinder in uns sind es, die uns, ja auch die Gehemmten, Schüchternen, Zurückhaltenden, Schweigsamen auf die Bühnen treiben und uns unglaubliche Sachen tun lassen, die wir sonst nie zu tun wagen würden. Man muss nur diesen Kindern die Möglichkeiten geben zum Vorschein zu kommen. 

So fühlte sich studiDT für mich an: dort können alle Kinder wieder zum Vorschein kommen und auf die Bühne hüpfen und man darf alles, was man sich bereit ist vorzustellen. Denn das macht ja die Faszination der Kindheit aus: alles, was man sich vorstellen kann, ist auch real, solange man selbst dran glaubt.
Und darüber nachdenkend, erinnerte ich mich wieder an mein einziges Casting und meinen gescheiterten Wolf. Dann dachte ich mit Genugtuung, dass all diese coolen Mädchen mit coolen Haarspangen und Turnschuhen heute bestimmt sehr erwachsen, sehr ernst, sehr tüchtig und sehr unlustig sind, während ich weiterhin Sachen (ja, auch Wölfe!) erfinde, selber dran glaubend und somit einige andere Menschen dazu bringe, dass sie mir gleich tun. Und dann dachte ich daran, dass ich vielleicht eines Tages, bei Gelegenheit, mich auf alle Vieren stellen und aus voller Kraft brüllen sollte, den bösen, grauen Wolf markierend...